Für Mordversuch in U-Bahn gibt es zwölf Jahre Haft

Ein 29-jähriger Mann konnte im letzten Augenblick eine grundlose Messerattacke im Juni 2020 in der U3 überleben. Der Angeklagte dementierte die Tötungsabsicht am Landesgericht. Er wurde zu zwölf Jahren Haft verurteilt.

Für Mordversuch in U-Bahn gibt es zwölf Jahre Haft

Der Schuldspruch fiel mit 5:3 Stimmen im Sinn der Anklage aus. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, der 25-Jährige erbat Bedenkzeit. Er versetzte dem Mann mit einem Messer einen wuchtigen Stich in die Brust, wobei der Stichkanal eine Länge von 13 Zentimeter erreichte. Die Klinge verfehlte knapp das Herz, ging jedoch in die Lunge.

Opfer bekam Spitalskosten zugesprochen

Das Opfer bekam vom Gericht 13.000 Euro – die Spitalskosten – zugesprochen, nachdem der Mann in seiner Zeugenbefragung auf entsprechendes Befragen der Richterin formal darum ersucht hatte. Der 29-Jährige war seinen Angaben zufolge nach der Bluttat nicht über seine Rechte als Verbrechensopfer informiert worden und hatte daher keine psychosoziale und juristische Prozessbegleitung erhalten. Ihm stand somit kein Anwalt als Privatbeteiligtenvertreter zur Seite, der ihn während des Strafverfahrens begleiten hätte können.

Die beiden Männer hatten einander nie zuvor gesehen. Der Angeklagte saß am 25. Juni vergangenen Jahres mit seiner Lebensgefährtin in einer Garnitur der U3, beide waren alkoholisiert. In der Station Volkstheater stieg der 29-Jährige ein, wobei ihm sein Skateboard, das er mit sich führte, aus der Hand und zu Boden fiel.

Witz über blaues Auge der Freundin

Laut ORF machte sich der 25-Jährige darüber lustig und lachte den Älteren aus, der daraufhin eine kurze, sarkastische Bemerkung über ein offensichtlich blaues Auge der Begleiterin des 25-Jährigen machte („Ist das jetzt neue Mode?“). Darauf brannten dem Jüngeren die Sicherungen durch. Er stand auf, ging zum anderen Mann hin und suchte die Konfrontation, welcher der 29-Jährige aus dem Weg gehen wollte.

Mit den Worten „Lass mich in Ruhe“ stieß er sein aggressives Gegenüber von sich, wobei in diesem Moment die U-Bahn-Tür aufging, da man soeben die nächste Station erreicht hatte. Der 25-Jährige taumelte hinaus, verlor das Gleichgewicht, kam auf dem Bahnsteig zu liegen, rappelte sich auf, zog ein Messer und sprang zurück ins Innere, ehe sich die Türen wieder schlossen.

Skateboard als Schild

Er folgte dem anderen Mann, der sich zügigen Schrittes nach vorne entfernt hatte, holte ihn ein und versetzte ihm wortlos mit seiner Waffe einen ersten Stich, den der Mann mit seinem Skateboard ablenken konnte. Die Klinge ging linksseitig ins Schlüsselbein. Der zweite Stich traf ihn allerdings zwei Zentimeter unterhalb der linken Brustwarze, eröffnete die Brusthöhle, die sich mit Blut und Luft füllte, und beschädigte die Lunge.

Wäre der Stichkanal ein paar wenige Grade anders verlaufen, wären die Schlagader oder das Herz getroffen worden, führte der Gerichtsmediziner Christian Reiter nun vor einem Schwurgericht unter dem Vorsitz von Christina Salzborn aus.

Zeugen mischten sich nicht ein

Während der Täter und seine Begleiterin nach Erreichen der nächsten Haltestelle – es handelte sich um die Station Zieglergasse – die Flucht ergriffen, kümmerte sich ein weiblicher Fahrgast um den Schwerverletzten. Sie führte ihn auf den Bahnsteig, wo der Mann einen Lungenkollaps erlitt. Er wurde von alarmierten Einsatzkräften auf dem Bahnsteig erstversorgt und dann ins AKH gebracht.

Als Zeuge schilderte das Opfer nun, er habe dem Angeklagten gesagt, dass er ihn in Ruhe lassen solle, als er dessen Gewaltbereitschaft sowie das Messer wahrnahm. Andere Fahrgäste hätten sich herausgehalten: „Die haben sicher Schiss gehabt.“ Als er die Folgen des Stichs in die Brust verspürte, „hab’ ich mir gedacht, ich könnte im schlimmsten Fall sterben. Ich hab’ Angst gehabt, dass meine Mutter zum Begräbnis geht.“

Angeklager „hatte Angst“

Der Angeklagte versicherte, er habe keinesfalls in Tötungsabsicht gehandelt. Er sei davon ausgegangen, dass der 29-Jährige gewalttätig werde: „Auf einmal war seine Hand bei uns. Er war aggressiv. Ich hatte Angst, dass er uns angeht.“ Auf Nachfragen der vorsitzenden Richterin räumte der Mann ein, er sei „sauer“ gewesen, weil ihn der andere Mann vor den Augen seiner Freundin aus der U-Bahn gestoßen hatte.

Verteidiger Sinan Dikme richtete den Fokus auf die schwierigen Lebensumstände seines Mandanten. Dieser sei als siebentes von neun Kindern aufgewachsen, habe seinen Vater nie kennengelernt, nie eine Ausbildung gemacht und zuletzt auf der Straße gelebt. Die Messerstecherei sei „ein Fehler“ gewesen: „Jeder macht in seinem Leben Fehler.“

Verteidiger: „Wollte Opfer außer Gefecht setzen“

Der Angeklagte sei nicht imstande gewesen, „das Problem“ verbal zu lösen: „Er wollte das Opfer außer Gefecht setzen.“ Daher habe er diesem „in den Arm, in die Schulter stechen wollen“. Leider sei die Sicht auf den Körper des 29-Jährigen teilweise verdeckt gewesen, außerdem habe sich die U-Bahn in Fahrt befunden, weshalb die Klinge ihr Ziel verfehlt habe. Der Täter hatte sich zeitnahe nach der Bluttat in einer Polizeiinspektion gestellt. Dort gab er an, er habe „Blödsinn gemacht“.

Opfer wusste nichts von seinen Rechten

Der Schwerverletzte hätte sich dem Strafverfahren als Privatbeteiligter anschließen und auf diesem Weg Ansprüche wie Schmerzengeld geltend machen können. Allerdings war er von der Polizei nicht auf seine Rechte als Verbrechensopfer aufmerksam gemacht worden, wie er nach seiner Einvernahme in einer Verhandlungspause im Gespräch mit der APA erklärte.

Der 29-Jährige hatte von der Verbrechensopferhilfe Weißer Ring noch nie gehört, die Opfern von Straftaten mit professioneller Beratung und Betreuung sowie psychosozialer und juristischer Prozessbegleitung zur Seite steht. Der Weiße Ring beklagt seit längerem und regelmäßig, dass Opfer von Straftaten nicht bzw. nicht in vollem Umfang Kenntnis von ihren Rechten erlangen. Damit sich das ändert, verlangt der Weiße Ring, dass die Polizei auch in Fällen von situativer Gewalt die Daten von Betroffenen an Gewaltschutzzentren und Interventionsstellen weitergibt. Das ist derzeit nur bei Fällen von häuslicher Gewalt vorgesehen.

Musste Spitalskosten selbst zahlen

Den 29-Jährigen bzw. dessen Familie kam der Umstand, dass er seinen Angaben zufolge bei seiner polizeilichen Erstbefragung nicht über seine Opferrechte aufgeklärt wurde, teuer zu stehen. Der bei einer Leiharbeitsfirma Beschäftigte war im Tatzeitpunkt nicht versichert, weshalb ihm die Spitalskosten in Höhe von rund 12.000 Euro in Rechnung gestellt wurden. Diese stottern nun seine Angehörigen in Raten ab, wie er der APA berichtete: „Ich hätte das nicht zahlen können.“

Mit dem Zuspruch der 13.000 Euro hat der 29-Jährige nun 30 Jahre Zeit, diese dem Täter gegenüber geltend zu machen. Viel zu holen dürfte bei dem unterstands- und vermögenslosen Mann aber nicht zu holen sein. Dass er nicht versichert war, war auch der Grund, weshalb sich der niedergestochene Mann zunächst nicht hatte helfen lassen wollen. Aus finanziellen Erwägungen habe er gehofft, nicht ins Spital zu müssen, verriet er.

Ersturteil wurde ausgesetzt

In einem ersten Gerichtsverfahren verwarfen die Geschworenen in ihrer Beratung die Anklage wegen versuchten Mordes und werteten die Tat als schwere Körperverletzung. Die Berufsrichter zeigten sich damit nicht einverstanden und setzten das Urteil aus. Bei einer Verurteilung wegen versuchten Mordes sei keine Mordabsicht nachzuweisen, hieß es. Es reiche, wenn man den Tod des anderen in Kauf nehme. Der Prozess musste daher wiederholt werden.

© Bild: ORF.at

Yayınlama: 15.03.2021
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