„ATİB – Wessen Institution ist es? | Ankara oder Österreich?“

Von Adem Hüyük

1990 gegründet, ist ATİB eine der größten und einflussreichsten institutionellen Strukturen der muslimisch‑türkischen Gemeinschaft in Österreich. Moscheen, Vereine und soziale Aktivitäten werden zu einem großen Teil durch die materiellen und immateriellen Beiträge der Gemeinschaft getragen. In diesem Sinne ist ATİB nicht nur ein Dachverband, sondern eine der sichtbarsten Repräsentationsformen der türkisch‑muslimischen Existenz im öffentlichen Raum Österreichs.

Genau aus diesem Grund ist die folgende Frage nicht länger aufschiebbar:

Wessen Institution ist ATİB?

Betrachtet man die Situation in der Realität, dann ist das Bild deutlich. Die materielle Last von ATİB tragen die in Österreich lebenden muslimisch‑türkischen Gemeinschaftsmitglieder. Diejenigen, die Mitgliedsbeiträge zahlen, Spenden leisten, ehrenamtliche Arbeit einbringen und diese Struktur am Leben erhalten – das ist die Gemeinschaft selbst. Auch juristisch operiert ATİB nach dem österreichischen Vereinsrecht, und das höchste Organ ist die Mitgliederversammlung [Generalversammlung]. Auf dem Papier gehört das letzte Wort den Mitgliedern.

In der Praxis weicht das tatsächlich gelebte System jedoch von diesem juristischen Rahmen ab. In den letzten Jahren haben aufgedeckte Vorwürfe über Unregelmäßigkeiten, interne Auseinandersetzungen und in die Öffentlichkeit gelangte Enthüllungen die Zweifel verstärkt, dass Entscheidungsprozesse losgelöst von den österreichischen Mitgliedern geführt werden. Dass die Gemeinschaft erfährt, was in ihrer eigenen Institution passiert, nicht über offizielle ATİB‑Kanäle, sondern über die österreichische Presse, ist ein eklatanter Verwaltungs‑ und Führungsnotstand.

Dieses Bild ist längst nicht mehr nur ein administratives Problem – es ist eine offene Krise der Vertretung und Legitimität.

Ein Führungsstil, der die gesellschaftlichen Realitäten Österreichs nicht kennt – die politische Stimmung, die Medienlandschaft und kulturelle Empfindlichkeiten –, kann nicht erfolgreich sein. Nur wer in dieser Gesellschaft lebt, versteht, auf welche Aspekte türkische Menschen Akzeptanz finden und welche Themen sie immer wieder in den Fokus gesellschaftlicher Debatten rücken; welche Formen islamischer Präsenz in der Wahrnehmung der einheimischen Bevölkerung als legitim gelten und wo es Grenzen gibt.

Trotzdem führt eine Struktur, die von aus Ankara entsandten Führungspersonen geleitet wird, zwangsläufig weg von den Bedürfnissen der muslimisch‑türkischen Gemeinschaft in Österreich. Religiöse Repräsentation in Österreich bedeutet nicht nur die Bereitstellung von Gebetsräumen. Sie umfasst ebenso rechtliche Integration, gesellschaftlichen Dialog, Krisenmanagement und politisches Gleichgewicht.

Es ist verständlich, dass eine aus Ankara entsandte Leitungsperson zunächst die Interessen der Republik Türkei priorisieren kann. Doch genau hier beginnt das Problem: Diese Prioritäten können die gesellschaftliche Position der in Österreich lebenden muslimischen Türken schwächen und ihre Ausgrenzung verstärken.

Während diplomatische Beziehungen ausbalanciert werden sollen, zahlen oft die Migranten den Preis. In Spannungen zwischen zwei Staaten können türkisch‑muslimische Menschen in Österreich leicht als verzichtbare Größe erscheinen. Sie werden von politischen Entscheidungsträgern in der Türkei ebenso instrumentalisiert wie von verschiedenen Akteuren in Österreich.

Die Menschen, die seit Jahren in diesem Land leben, arbeiten, Steuern zahlen und zum gesellschaftlichen Frieden beitragen, sind es leid, als „Spielfiguren“ zwischen zwei Staaten behandelt zu werden. Sie verlangen, in Entscheidungen, die ihr Leben direkt beeinflussen, mitzubestimmen. Sie wollen nicht länger eine passive Masse sein, sondern ein gleichberechtigter und legitimer Teil dieser Gesellschaft.

Das Ergebnis dieser Entwicklung ist klar: Die Kluft zwischen denen, die die Last tragen, und denen, die Entscheidungen treffen, wird immer größer.
Während die Verantwortung auf den Schultern der Gemeinschaft lastet, werden Entscheidungen häufig außerhalb Österreichs getroffen.

An diesem Punkt darf ein weiterer wichtiger Aspekt nicht übersehen werden: Die Gründergeneration von ATİB altert und zieht sich aus ihren Funktionen zurück. Gleichzeitig wollen die zweite und dritte Generation der in Österreich Aufgewachsenen nicht nur Teil der Gemeinschaft sein, sondern auch Verantwortung in der Führung übernehmen.

Diese Generationen sind hier geboren oder aufgewachsen; sie kennen die Sprache, das Rechtssystem und die gesellschaftlichen Dynamiken dieses Landes. Dass sie mehr Verantwortung in der Leitung von ATİB übernehmen wollen, ist nicht bloß ein Generationenwechsel – es ist ein Hinweis auf einen notwendigen strukturellen Wandel.

Denn in Österreich geborene und aufgewachsene junge Menschen, die ihre Zukunft in diesem Land sehen, wollen ihren Glauben innerhalb dieser gesellschaftlichen Realität leben. Für sie sind Gebetshäuser nicht nur Orte der Andacht, sondern Ausdruck ihrer Zugehörigkeit, ihres Willens zum gemeinsamen Leben und ihres gesellschaftlichen Engagements.

Deshalb lehnen es viele junge Avustrianer türkischer Herkunft ab, einer „islamischen Erziehung“ zu unterliegen, die von aus der Türkei entsandten Bürokraten geprägt wird. Was sie fordern, ist keine Abkehr vom Glauben, sondern eine Form der religiösen Repräsentation, die mit den rechtlichen, kulturellen und sozialen Bedingungen Österreichs im Einklang steht.

Wird diese berechtigte Erwartung ignoriert, dann verliert ATİB nicht nur den Kontakt zu den jüngeren Generationen, sondern auch seine Legitimität in der österreichischen Gesellschaft.|© DerVirgül

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