Die Tochter, das Tuch und der Staat

Die Tochter, das Tuch und der Staat

Gastautor | Hakan Gördü

Ich habe keine Tochter. Aber ich sehe sie vor mir. Sie steht auf einem Innenhof in Favoriten, irgendwo zwischen Schule und Zuhause. In der Hand hält sie ein Stück Stoff – mehr als nur Textil.

Ein Kopftuch. Sie betrachtet es wie ein Versprechen, das sie noch nicht versteht. Noch nicht.

Und ich – ich wäre nicht dafür, dass sie es jetzt schon trägt. Nicht, weil ich es verachte. Im Gegenteil: weil ich es ernst nehme. Weil ich weiß, was es bedeutet.

Einmal aufgesetzt, lässt es sich nicht mehr so einfach abnehmen. Nicht ohne Fragen. Nicht ohne Blicke. Nicht ohne Schuldgefühle – nicht aus dem Glauben heraus, sondern durch den gesellschaftlichen Druck. Man begegnet Frauen, die mit sich selbst ringen, nicht mit Gott, sondern mit jenen, die ihnen ständig ins Ohr flüstern, wie eine gläubige Frau zu sein hat.

Und dieser Druck kommt von überall. Von denen, die am liebsten alles Religiöse aus dem öffentlichen Raum verbannen würden. Und von denen, die glauben, die Ehre einer Familie liege im Haar ihrer Töchter.

Die Frau mit Kopftuch in Österreich ist kein Mensch – sie ist ein Schlachtfeld. Zwischen Talkshows und Freitagsgebeten. Zwischen Integrationsdebatten und familiären Ehrenkodizes. Sie darf nie einfach nur sie selbst sein. Sie ist Symbol. Projektionsfläche. Schachfigur.

Deshalb würde ich meiner Tochter sagen: Warte. Nicht, weil ich gegen den Glauben bin. Sondern weil ich möchte, dass du selbst entscheidest – in einem Alter, in dem du mit deiner Entscheidung auch leben kannst.

Denn das Kopftuch kann wunderschön sein. Es kann Ausdruck von Spiritualität sein, von Zugehörigkeit, von Selbstbestimmung. Es kann ein Akt der Würde sein – in einer Welt, die Frauen auf Äußerlichkeiten reduziert. Wenn es freiwillig geschieht.

Aber freiwillig heißt nicht: aus Angst vor der Hölle. Und freiwillig heißt auch nicht: aus Angst vor der Familie. Freiwillig heißt: aus Überzeugung. Aus Ruhe. Aus innerer Freiheit.

Ich weiß, dass viele Mädchen es wirklich selbst wollen. Weil sie so aufgewachsen sind. Weil es sich für sie richtig anfühlt. Aber die Welt verändert sich. Die Pubertät bringt neue Fragen, neue Perspektiven, neue Freundschaften – und manchmal auch Zweifel. Und in dieser Phase sollte kein Mädchen mit einem religiösen Etikett kämpfen müssen, das sie vorher nicht hinterfragen konnte.

Das ist meine Meinung. Und sie ist nicht allgemeingültig.

Was aber für alle gilt, ist das Recht auf Religionsfreiheit. Und das Recht auf Gleichbehandlung. Und genau hier beginnt das eigentliche Problem.

Denn was wir derzeit erleben, ist kein Schutz der Kinder – es ist ein Angriff auf eine bestimmte Religion. Wenn ein Sikh-Junge mit Turban in Ruhe gelassen wird, ein jüdisches Kind mit Kippa, eine katholische Schülerin mit Kreuz – aber das muslimische Mädchen mit Kopftuch plötzlich ein Problem darstellt – dann ist das keine Fürsorge. Dann ist das Diskriminierung.

Ich werde – wenn es sonst niemand tut – gegen dieses Verbot vor den Verfassungsgerichtshof ziehen. Nicht, weil ich möchte, dass kleine Mädchen Kopftuch tragen. Sondern weil ich nicht möchte, dass ausgerechnet sie allein ausgegrenzt werden.

Wenn man sagt, man will Kinder schützen, dann muss man alle Kinder schützen. Oder es ist eine Lüge.

Und wenn du glaubst, ein ultraorthodox jüdisches Kind habe es leichter als ein muslimisches, dann hast du schon verloren. Denn dann misst du mit zweierlei Maß.

Ich wäre sogar bereit, über ein generelles Verbot religiöser Symbole bei Kindern nachzudenken. Nicht aus Ablehnung gegenüber Religion. Sondern weil ich möchte, dass Kinder einfach Kinder sein dürfen. Aber dann bitte für alle. Ohne Ausnahmen. Ohne Heuchelei.

Was wir derzeit erleben, ist keine Aufklärung. Es ist Rückschritt im Gewand des Fortschritts. Es ist der alte Sebastian, neu geschminkt. Es ist der Versuch, sich mit dem Kopftuch der anderen in die Schlagzeilen zu retten, weil man sonst nichts mehr zu sagen hat.

Österreich hat unter dieser Politik Jahre verloren. Verloren an Spaltung, an Angst, an Mittelmaß.

Lassen wir nicht zu, dass das wieder passiert.

Die Antwort auf die Frage, ob ein Kind ein Kopftuch tragen soll, darf nicht in Parteizentralen entschieden werden.|©DerVirgül

Yayınlama: 24.07.2025
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