Pfandsystem macht Armut sichtbar | Ein neuer Überlebensweg auf Wiens Straßen

Pfandsystem macht Armut sichtbar | Ein neuer Überlebensweg auf Wiens Straßen

In Wien begleiten in den frühen Morgenstunden zunehmend unbekannte Geräusche schlaflose Nächte. Wer aus dem Fenster blickt, sieht Menschen, die in den von der Stadt aufgestellten Müllbehältern nach etwas suchen. Was zunächst wie ein Einzelfall wirkt, ist inzwischen ein alltägliches Bild in der Stadt geworden.

Für die Umwelt eingeführt, mit der Armut konfrontiert

Das Pfandsystem, das bis Ende dieses Jahres in ganz Österreich vollständig umgesetzt werden soll, wurde mit dem Ziel des Umweltschutzes eingeführt. Doch es hat in den Straßen Wiens eine unerwartete soziale Folge mit sich gebracht: Arme und obdachlose Menschen haben begonnen, Pfandflaschen und -dosen zu sammeln, um zu überleben.

Im Rahmen der bis Ende 2025 geltenden Übergangsphase erhalten Konsument:innen für die Rückgabe von Einwegverpackungen mit Pfandlogo [PET-Flaschen, Glasflaschen, Aluminiumdosen] eine Rückerstattung von 20 bis 25 Cent. Das System wird über Rückgabeautomaten in Supermärkten abgewickelt.

Eine neue Einkommensquelle

Diese umweltfreundliche Maßnahme ist für viele Menschen mit geringem Einkommen zur alternativen Einkommensquelle geworden. Vor allem Obdachlose und Bedürftige durchwühlen Mülleimer auf der Suche nach pfandpflichtigen Verpackungen. Wer täglich rund 40 bis 50 Flaschen sammelt, kann damit etwa 10 bis 12 Euro verdienen.

Gute Absicht, hohe Strafe

In Wiens inneren Bezirken – besonders in Parks, Bahnhöfen und Einkaufsstraßen – ist dieses Bild mittlerweile alltäglich. Einige Bürger:innen stellen Pfandflaschen sogar gezielt neben den Müllbehälter, um es den Sammler:innen leichter zu machen. Doch diese „gut gemeinte Geste“ gilt gesetzlich als Verunreinigung des öffentlichen Raums und kann Geldstrafen zwischen 50 und 2.000 Euro nach sich ziehen.

Die Magistratsabteilung 48 (MA 48) betont, dass das unbeaufsichtigte Ablegen von Flaschen im öffentlichen Raum „die Ordnung stören“ könne und kontrolliert streng. Die Spezialeinheit „WasteWatcher“ kann Personen, die Flaschen oder Dosen ablegen, verwarnen oder bestrafen.

Expert:innen warnen

Expert:innen betonen, dass Pfandsysteme zwar wichtig für den Umweltschutz seien, aber gleichzeitig auch die soziale Ungleichheit deutlich sichtbar machen. Eine Sozialforscherin erklärt:

„Recyclingsysteme sind wichtig für die Umwelt, aber die aktuelle Situation zeigt auch, wie tief soziale Ungleichheit reicht. Der Staat sollte diese Menschen nicht aus dem System ausschließen, sondern soziale Unterstützungsprogramme ausbauen.“

Ein System steht zur Diskussion

Das Pfandsystem in Wien ist ein Schritt hin zu mehr Umweltbewusstsein, aber es bringt gleichzeitig die tieferliegenden Probleme von Armut und sozialer Ungerechtigkeit ans Licht. Immer mehr Stimmen fordern: Dieses System muss nicht nur ökologisch, sondern auch menschlich gedacht werden. | ©Der Virgül

Yayınlama: 02.06.2025
A+
A-
Bir Yorum Yazın

Ziyaretçi Yorumları - 0 Yorum

Henüz yorum yapılmamış.