Assimilation als Vorwand – Integration wird sabotiert
In Österreich gibt es kein „Ausländerproblem“, sondern Probleme der Ausländer!
Wenn in Österreich von Migrantinnen die Rede ist, sprechen Politik und Medien meist von „Problemen“: fehlende Integration, Sprachbarrieren, Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Gewalt gegen Frauen, Antisemitismus… Die Liste ist lang, und in jedem Thema taucht das Wort „Migrant“ auf. Positive Beispiele, Erfolgsgeschichten oder die Beiträge der Migrantinnen zur Gesellschaft werden dagegen meist ignoriert oder als Ausnahme dargestellt.
Ganz anders sieht es auf Seiten der Menschen mit türkischem Migrationshintergrund aus: Politiker*innen aus Ankara, Diplomaten und lokale Vereinsvertreter beginnen ihre Reden mit Sätzen wie: „Die türkische Gemeinschaft hat Österreich viel gegeben.“ Von Armut, Ausgrenzung oder systematischer Diskriminierung wird kaum gesprochen. Es wird ein Bild gezeichnet, als sei alles in bester Ordnung.
Doch beide Seiten verdrehen die Realität zu ihrem Vorteil. Ein großer Teil der Migrantinnen in Österreich erlebt nach wie vor Ausgrenzung im Bildungssystem, wird auf dem Arbeitsmarkt als Bürgerinnen zweiter Klasse behandelt und politisch kaum repräsentiert. Ihre „Beiträge zu Österreich“ sind unbestritten – doch Probleme zu ignorieren schafft keine Zugehörigkeit, sondern lässt sie sich allein und unsichtbar fühlen.
In Österreich gibt es kein „Ausländerproblem“. Dieser Begriff ist bereits Teil des Problems, weil er das Problem direkt mit den Migrant*innen gleichsetzt. Tatsächlich liegt das Problem in ausgrenzenden Politiken, Angstmacherei, künstlichen Hürden bei der Staatsbürgerschaft, rassistischen Filtern auf dem Wohnungsmarkt, ungleichen Bildungschancen und vielem mehr.
Ja, es gibt Probleme – aber nicht die „Ausländer“ sind das Problem, sondern ihre mangelnde Teilhabe und gleiche Rechte. Das Problem ist, dass ihre Stimmen nicht gehört werden.
Viele türkische Vereine, Moscheegemeinden, geschlossene Sekten und Ankara-zentrierte politische Gruppen reagieren auf das Wort Integration reflexhaft mit dem Begriff „Assimilation“ und ziehen sich bewusst zurück. Wäre ihr Ziel, eine diasporazentrierte Gemeinschaft mit türkischem Fokus zu schaffen, wäre das verständlich. Doch Diasporas müssen in allen Lebensbereichen, insbesondere in der Politik, präsent und aktiv sein. Türkischstämmige Menschen in Deutschland und Österreich sind in dieser Hinsicht unzureichend vertreten. Nur in ausgezehrten, kontrollierten und in einer Schwebe gehaltenen Gemeinschaften entstehen eine schwache, unterlegene und funktionslose Diaspora.
Hunderte Diasporavereine und politische Gruppierungen haben diese konzeptuelle Verwirrung über die Zeit in eine bewusste Haltung verwandelt: Integration wird blockiert, Rückzug unter dem Deckmantel des Kulturschutzes normalisiert.
Dabei bedeutet Integration nicht das Verschwinden der kulturellen Identität, sondern das Finden gemeinsamer Grundlagen in der Gesellschaft. Viele Vereine sabotierten diesen Prozess jedoch mit dem Motto „Wir sind unter uns“. Deutsch wurde nicht ausreichend gelehrt, ein Bewusstsein für Rechte und Pflichten in Österreich wurde nicht geschaffen, und junge Menschen wurden eher abgeschottet als integriert.
Diese Strukturen bevorzugten, dass junge Menschen sich nicht als natürlichen Teil der österreichischen Gesellschaft sehen, sondern in der „Gastarbeiter-Enkel“-Psychologie verharren. Das führte sowohl zu einer Ghettoisierung innerhalb der türkischen Gemeinschaft als auch zur Rechtfertigung von Diskriminierung von außen.
Ein besonders auffälliges Beispiel ist die Politisierung religiöser Institutionen. Den Moscheegemeinden wurde nicht nur eine religiöse, sondern auch eine ideologische und politische Linie aufgezwungen. Stark engagiert in der türkischen Innenpolitik, wurde es fast als „Verrat“ angesehen, sich mit österreichischen Themen zu befassen.
Doch die echten Probleme der hier lebenden Jugendlichen, Frauen, Arbeiter*innen und Studierenden werden in der Türkei nicht gelöst, sondern in Österreich – durch soziale Realitäten vor Ort. Diese Realität ignorierende Institutionen beanspruchten sowohl die Vertretung als auch blockierten die gesellschaftliche Entwicklung ihrer Communities.
Die Verantwortung für die strukturellen Probleme türkischstämmiger Menschen in Österreich liegt nicht allein bei den ausgrenzenden österreichischen Politiken, sondern auch bei den in der Community selbst entstandenen, das Establishment reproduzierenden Strukturen.
Ich wiederhole: Einer der Hauptgründe, warum die türkischstämmige Community in Österreich nicht voll integriert ist, sind die Türkei-zentrierten Sekten, politischen Gruppen und lokalen Vereine. Diese haben Integration nicht nur abgelehnt, sondern aktiv sabotiert.
Mal im Namen der Religion, mal der Tradition, mal des „Kulturschutzes“ wurden Deutschkenntnisse verzögert, schulisch schwache Kinder als „unsere“ geschützt, aber ohne Lösungen, Frauen an der Teilhabe am öffentlichen Leben gehindert, Jugendliche eher an „unsere Vereine“ gebunden statt an die Universität.
Während Sekten ihre Loyalitätsbeziehungen in der Diaspora neu erzeugten, waren politische Akteure voll auf Ankara fokussiert. Menschen, die in Österreich nicht wählen dürfen, wurden für türkische Wahlen zu Kundgebungen mobilisiert. Sogar wer wen wählen soll, welchem Anführer man gehorchen muss oder wer als Verräter gilt, wurde zentral bestimmt.
Diese Strukturen interessierten sich kaum für die tatsächlichen Probleme der Menschen in Österreich: Gewalt gegen Frauen, Arbeitsrechtsverletzungen, Wohnungsnot junger Menschen waren nie Thema. Wichtig war nur, dass die Menschen dem Zentrum verbunden bleiben – nicht ihr Wohlergehen hier.
Noch heute werden viele türkischstämmige Jugendliche, die aus diesem engen Rahmen ausbrechen, als „verdorben“, „fremd“ oder „westliche Handlanger“ gebrandmarkt. Dabei wollen sie nur ihre Identität frei leben, zur Gesellschaft beitragen und ihre Fesseln sprengen.
Diese Ketten wurden mit der Angst vor Assimilation geschmiedet – als Werkzeug, um die Community innen zu halten und eigene Einflussbereiche zu sichern. Nicht Integration, sondern Kontrolle war gewollt; nicht Teilhabe, sondern Gefolgschaft. Daher sabotierten sie Integrationsbemühungen bewusst.
Heute fühlen sich viele türkischstämmige Menschen weder voll zugehörig zur österreichischen Gesellschaft, noch bleiben sie vollkommen an das Herkunftsland gebunden. Ihre Identitäten, Zugehörigkeiten und Zukunftsträume sind zerrissen. Ursachen sind vielfältig: ausgrenzende Politik, institutioneller Rassismus, Hürden bei der Staatsbürgerschaft…
Aber der bewusste, verschlossene, kontrollierende und manipulative Kurs der Türkei-zentrierten Sekten, politischen Strukturen und lokalen Vereine ist eine der Hauptursachen dieser Zerrissenheit. Statt die Menschen Österreich näherzubringen, sperrten sie sie immer in ein „Wir“ ein. In diesem „Wir“ gibt es weder Platz für Individualität, freie Gedanken noch eine eigene Position zwischen zwei Gesellschaften.
Dies ist der Hauptgrund für die „Schwebe“ der türkischstämmigen Community in Österreich.
Und diese „Schwebe“ lässt sich nicht nur durch österreichische Ausgrenzung erklären. In der Türkei sind diese Menschen längst zu „unerwünschten“ Figuren geworden.
Besonders in den Sommermonaten werden „Heimkehrer“ in sozialen Medien regelrecht geächtet: Sie blockieren Straßen, füllen Flughäfen, geben zu viel Geld aus, seien überheblich oder würden Preise ruinieren. Selbst die einheimische Bevölkerung in der Türkei zeigt offen, dass sie diese Besuche kaum noch toleriert.
Das isoliert die Migrant*innen noch mehr. Denn in Österreich gelten sie als „Ausländer“, in der Türkei als „Nicht-mehr-einer-von-uns“. So entsteht eine entfremdete, entidentifizierte Generation, die in beiden Gesellschaften kaum Anerkennung findet.
Was also sollen diese Menschen tun?
Weder der österreichische Staat wird sie eines Tages als gleichberechtigte Bürger*innen anerkennen, noch der türkische Staat wird aufhören, sie nur zu Wahlzeiten zu erinnern.
Diese Menschen werden ihren Weg selbst finden. Innerhalb und mit dieser Gesellschaft – mit eigener Stimme und im Kampf um gleichberechtigte Bürgerrechte.
Die Lösung des sogenannten „Ausländerproblems“ liegt nicht darin, „nicht mehr ausländisch“ zu sein, sondern darin, gegen alles aufzustehen, was Ausgrenzung verursacht.
Sie werden ihren Platz nicht in Ankara oder Wien suchen – sondern dort, wo sie wirklich hingehören.
Denn sie müssen sich selbst retten – das ist unumstößliche Notwendigkeit.