Mansur Yavaş – Ist er gekommen, um die Türkei zu kritisieren? Und wofür sind die fünf Bürgermeister der AKP nach Wien gekommen?
Während gegen jede Person, die sich in den sozialen Medien für İmamoğlu ausspricht, Ermittlungen eingeleitet werden, gibt es keinerlei Untersuchungen gegen jene Bürgermeister, die trotz eines Antrags, der sich offen gegen die türkische Regierung stellte und im Wiener Gemeinderat angenommen wurde, an der Einladung der Wiener Landesregierung teilnahmen.
Im Rahmen des „World Cities Summit“ fand in Wien zum 14. Mal das Bürgermeisterforum statt, an dem über hundert Vertreter*innen aus Kommunalverwaltungen teilnahmen. Auch der Bürgermeister von Ankara, Mansur Yavaş, war unter den Gästen und berichtete über die Erfahrungen aus der kommunalen Praxis in der Türkei sowie über den Kampf gegen den Klimawandel auf städtischer Ebene.
Doch seine Teilnahme wurde von bestimmten Kreisen als „Anschwärzen der Türkei im Ausland“ interpretiert.
Diese Anschuldigung jedoch geriet schnell in den Hintergrund angesichts der offiziellen Entwicklungen: Nur wenige Monate zuvor hatte der Wiener Gemeinderat eine Resolution verabschiedet, die die Inhaftierung des Bürgermeisters von Istanbul, Ekrem İmamoğlu, als „schweren Schlag gegen die lokale Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit und die Meinungsfreiheit“ verurteilte und seine Freilassung forderte.
Trotz dieser klaren politischen Haltung sagten drei AKP-Bürgermeister ihre Wien-Reise nicht ab – sie ignorierten den Beschluss einfach.
Der Antrag wurde mit den Stimmen der SPÖ, NEOS und FPÖ angenommen. Wien präsentierte sich als Hauptstadt der Menschenrechte und Demokratie und übte deutliche Kritik am demokratischen Rückschritt in der Türkei. Im Zentrum standen die Forderungen nach Respekt gegenüber Wahlergebnissen, die freie Ausübung der gewählten Mandate und die Freilassung inhaftierter Bürgermeister.
Und der brisanteste Aspekt: Kurz nach der Annahme dieses Antrags, vor der Wiener Landtagswahl am 27. April 2025, reisten drei AKP-Bürgermeister aus der Türkei nach Wien, um den Wahlkampf zu unterstützen.
Gerade in dieser Zeit, in der die Kritik an der Türkei auf höchster parlamentarischer Ebene Wiens ausgesprochen wurde, bewegten sich die Bürgermeister der Regierungspartei AKP frei und ungehindert inmitten der Wiener Wahlkampfarena.
Wäre dies auch möglich gewesen, wenn diese Bürgermeister der CHP angehört hätten? Hätten sie sich nicht massiven Vorwürfen ausgesetzt gesehen, im Ausland gegen die Türkei Propaganda zu betreiben?
Während Mansur Yavaş vorgeworfen wird, „die Türkei im Ausland schlechtzumachen“, bleibt der Wahlkampfauftritt von AKP-Bürgermeistern in derselben Stadt „normal“. Diese Doppelmoral entlarvt einmal mehr, wie selektiv mit den Prinzipien von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit umgegangen wird – vor allem wenn es um parteipolitische Interessen geht. Zugleich rückt sie die Frage nach den „Vaterlandswerten“ innerhalb der AKP erneut in den Fokus.
Das Bild, das sich in Wien zeigt, legt offen, wie sehr der Einsatz für Demokratie von doppelten Standards geprägt ist – abhängig davon, wer spricht und aus welcher Richtung Kritik kommt.
Der demokratische Rückschritt in der Türkei ist längst kein rein innerstaatliches Thema mehr. Er ist auch auf internationalen Plattformen, besonders bei Treffen kommunaler Akteur*innen, ein Gegenstand offener Kritik.
Doch während diese Kritik laut wird, werden menschenrechtliche und rechtsstaatliche Prinzipien allzu oft parteipolitischen und strategischen Interessen untergeordnet.
Während gegen jede*n, der/die İmamoğlu in sozialen Medien verteidigt, Ermittlungen eingeleitet werden, bleiben jene Bürgermeister unbehelligt, die auf Einladung derselben Landesregierung nach Wien kamen, deren Parlament zuvor eine Regierungskritische Resolution beschlossen hatte.
Was uns bleibt, ist, diese Doppelmoral offen zu benennen – und daran zu erinnern, dass Menschenrechte und Freiheitsrechte universell sind. Sie gelten nicht nur für einige, sondern für alle.
Ja, Mansur Yavaş kam nach Wien, um über die Arbeit in Ankara zu berichten, über kommunale Erfahrungen und Erfolge.
Doch im Schatten dieses Erfolgs herrscht in anderen Teilen des Landes Unrecht: Gewählte Bürgermeister sitzen im Gefängnis, die Rechtsstaatlichkeit wird untergraben.
Und während AKP-Bürgermeister in Wien Wahlkampf machen, wird über diese Ungerechtigkeiten hinweggesehen.
Deshalb ist der Vorwurf, Yavaş sei gekommen, um „die Türkei schlechtzumachen“, nicht nur falsch, sondern eine bewusste Ablenkung von der Realität.
Die Wien-Reise der AKP-Bürgermeister war nicht nur ein „Wahlkampfausflug“, sondern auch ein lebendiges Beispiel dafür, wie internationale demokratische Normen gedehnt und instrumentalisiert werden.
Demokratie muss unter allen Umständen und für alle verteidigt werden.
Andernfalls dienen doppelte Standards nicht der Demokratie, sondern befeuern autoritäre Tendenzen.
Und schließlich zeigt uns auch die Kampagnenpraxis der österreichischen SPÖ, einer Partei, die sich über ein Jahrhundert lang dem Austromarxismus und der sozialen Demokratie verpflichtet fühlte, wie weit verbreitet mittlerweile das Prinzip ist: „Der Zweck heiligt die Mittel.“