Auf der Prater-Hauptallee gilt ein Geh- und Laufverbot

Laut StVO sind auf der Prater-Hauptallee das Spazierengehen und das Laufen verboten, auf der Donauinsel nur im Gänsemarsch am Wegesrand erlaubt

Auf der Prater-Hauptallee gilt ein Geh- und Laufverbot

Thomas Rottenberg | Der Standard

Wenn die zwei Richtigen aufeinandertreffen, kann man tatsächlich aus allem ein Problem machen. So geschehen etwa, als unlängst ein mit Kinderwagen auf der Prater-Hauptallee mittig joggender Vater, nennen wir ihn M., ein sich von hinten näherndes Polizeiauto nicht hörte oder ignorierte.

Die nicht mit Blaulicht fahrende Streife musste dem Läufer ausweichen. Dies missfiel dem Fahrer, nennen wir ihn Inspektor B., so, dass er die Sirene einschaltete. Dies erschreckte das – vielleicht sogar schlafende – Kind im Buggy: Es begann zu brüllen. Woraufhin Herr M. Unfreundliches artikulierte.

Ob Inspektor B. diese Worte verstand oder bloß Gestus und Mimik korrekt interpretierte, tut nichts zur Sache: Er bremste ab und brüllte den Läufer, ihn duzend, an. Dass M. Glück habe, dass er, B., Wichtigeres zu tun habe, als M. jetzt zu beamtshandeln. M. fragte den “unnedichen Kapplständer” (Zitat: M.) – ebenfalls duzend – wo sein Fehlverhalten läge. Die Antwort kam prompt: “Du host ois Fußgänga auf da Stroß’n nix valuan. Des gibt a Batznanzeige.” M.: “Bist ang’rennt? Des is’ die Hauptallee!”

Innere Ruhe
Bevor die Situation weiter eskalierte, mischte sich der zweite Polizist im Wagen ein. Beschwichtigend und von außen nicht verständlich: B. gab mit quietschenden Reifen Gas. Die Umstehenden lachten. Doch die Frage stand im Raum: Hatte der Polizist gar recht gehabt?

Die Urban Legend, wonach das Begehen und Belaufen der Strecke zwischen Praterstern und Lusthaus illegal sei, poppt ja immer wieder auf. So wie die Rad-Mär, hier fürs Nebeneinanderfahren gerüffelt worden zu sein. Und wenn man schon bei nie belegten Stadtwuchteln ist, fällt irgendwem noch eine ein: Ist nicht auch das Spazieren auf der Donauinsel (gemeint: beidseits entlang des Entlastungsgerinnes) nur am äußersten Wegesrand erlaubt?

Ja, das klingt grotesk. Es ist lebensfremd. Zudem widerspricht es der Nutzungserfahrung ebenso wie allem, wofür diese Freizeitreviere stehen.

Nur: Das alles ändert nichts daran, dass Inspektor B. absolut gesetzeskonform gehandelt hätte, hätte er Herrn M. gestraft. Denn die Straßenverkehrsordnung regelt eindeutig, was Passantinnen und Passanten auf einer Fahrbahn zu suchen haben. Und das ist ganz einfach nichts.

Die Krux dabei ist die: Die Prater-Hauptallee besteht aus Neben-, Reit- und einem Hauptweg – und sie ist rechtlich eine Straße. Auf dem Hauptweg, der Fahrbahn, ist – per Verordnung – das Fahren mit motorisierten Fahrzeugen (mit Ausnahmen) verboten. Die Absicht dahinter ist klar. Das ändert aber nichts daran, dass die StVO weiterhin gilt. Und in der steht: Wo es Geh- oder Begleitwege gibt, ist das Begehen einer Fahrbahn in Längsrichtung verboten. Auch am Rand. Man darf die Straße allerdings queren. Gerade, auf kürzestem Weg. Punkt.

Nebeneinanderfahren verboten
Jubeln da jetzt die Radfahrerinnen und Radfahrer? Wenn, dann zu Unrecht. Denn laut StVO ist das Nebeneinanderfahren auf dem Rad (Ausnahme: Rennräder) verboten. Einschlägige Anzeigen hat zwar nie jemand vorgelegt, Legenden darüber gibt es aber. Und Roland Romano, der Sprecher der Radlobby, sagt, dass das “durchaus vorgekommen sein könnte”. Allerdings nur in der Vergangenheit, denn seit dem Vorjahr ist Nebeneinanderradeln in Tempo-30-Zonen nämlich erlaubt. Aber ist die Prater-Hauptallee eine 30er-Zone?

“Ja”, sagt Romano – und zeigt auf Schilder, die vermutlich noch nie jemandem auffielen, die aber mit einigem polizeilichen bösen Willen Rennradfahrern rasch Probleme machen könnten.

StVO auf der Donauinsel
Andere Probleme könnte es hier aber auch rasch geben: Mitschuld- und Haftungsfragen etwa. Etwa wenn Zickzack fahrende Kinder hier verunfallen. Kinder haben auf einer Fahrbahn ja nichts verloren. Spielende Kinder schon gar nicht. Bei Unfällen könnte man Eltern hier folglich leicht einen Aufsichtspflichtverletzungs-Strick draus drehen.

Ähnlich ist es auf der Donauinsel. Laut Wiens “Inselverordnung” gilt hier die StVO. Radfahren ist explizit erlaubt. Nicht eigens geregelt ist allerdings das Zufußgehen.

Und was sagt die StVO? Gehen auf Straßen ohne Gehsteig ist nur am äußersten Fahrbahnrand – oder am Bankett erlaubt. Um den Verkehr nicht zu behindern, darf man das eher nicht nebeneinander: Es könnte wer von hinten kommen.

Der Verkehr, das sind auf der Donauinsel meist Fahrräder, was das Ausweichen-Einmahnen schwierig macht: Das innerstädtische Hupverbot gilt, so Radlobbyist Romano, auch fürs Klingeln. “Man muss sich anders verständigen.” Aber wie? Vor allem, wenn Radfahrende so fahren, wie es hier erlaubt ist. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt 50 km/h. Flanier-Familien, die sich über Rennrad-Pulks empören, hätten folglich Pech: Walker, Kinder oder Kinderwagen müssen ja am Rand (und im Gänsemarsch!) unterwegs sein. Obwohl normale Radfahrerinnen und Radfahrer eh nicht nebeneinander cruisen dürfen.

Keine Rechtssicherheit
Noch bizarrer wird es am Insel-Nordende. Das liegt schon in Niederösterreich, die Wege sind also “Landstraße”: Fußgänger müssen an den linken Fahrbahnrand. Höchstgeschwindigkeit: 100 km/h.

Dass das lebensfremd ist, steht außer Frage. Weder ÖAMTC noch Radlobby wissen von tatsächlich verhängten Strafen. Und Streitigkeiten zwischen Radfahrenden und Spaziergängern auf der Insel und der Prater-Hauptallee wurden noch nie mit der StVO in der Hand vor dem Kadi ausgetragen. Passieren könnte das aber durchaus, warnt ÖAMTC-Jurist Nikolaus Authried und meint: “Rechtssicherheit wäre wünschenswert.”

Den Wunsch des Leiters der ÖAMTC-Rechtsabteilung für Ostösterreich kann man seitens der Stadt Wien nachvollziehen. Markus Raab, Leiter der für die verkehrsrechtlichen Agenden der Bundeshauptstadt zuständigen MA 46, ist sich der Problematik bewusst. Es gebe, betont er, zwar “kein Gewohnheitsrecht im Unrecht”, dennoch ist er überzeugt, dass “keine Strafe vor Gericht halten würde: Jeder Richter würde auf jahrzehntelange, allen bekannte Praxis verweisen, dass auf der Hauptallee gegangen wird.” Es gebe in der StVO einfach kein brauchbares Instrumentarium für diese Situation: In Wohnstraßen dürften Autos zufahren. In Rad- und Fußgängerzonen gilt am Rad Schrittgeschwindigkeit. In Begegnungszonen fahren Autos.

Während Corona gab es zwar eine Verordnung, die das Zufußgehen auf Fahrbahnen per Zusatztafel erlaubte, doch die, seufzt Raab, ist ausgelaufen. Vor allem: “In der Praxis funktioniert es.”

Nicht zutreffendes Recht
Auf der Donauinsel sei die Sachlage außerdem anders: Dass die Stadt in der “Donauinselverordnung” in § 4 die Gültigkeit der StVO festschreibt, sei “nett, aber rechtlich nicht bindend”, so der städtische Verkehrsjurist. Die “Insel” sei ja kein Verkehrsweg, sondern ein Hochwasserschutzbau.

Per Verordnung wurde eben “hier nicht zutreffendes Recht drüber gestülpt”, sagt Raab. Wieso und wie begründet das in den 1970ern geschah, sei heute “nicht nachvollziehbar. Unser Standpunkt ist: Die StVO gilt nicht. Man darf sehr wohl laufen, skaten und spazieren.”

Doch nach welchen Regeln? Der Verkehrsjurist lächelt: “Sollte es zu Verfahren kommen, wird das Gericht wohl die Straßenverkehrsordnung heranziehen – sinngemäß.” Aber, ist Raab sicher, eben “nicht so, wie im Beispiel von der Hauptallee”. Denn da, sind sich Romano, Authried und Raab einig, bewiesen zwei “Spezialisten” lediglich eines: Man kann aus allem ein Problem machen – man muss es nur wollen.

| Doğu Ekspresi Belgeseli [Beyaza Yolculuk]

Yayınlama: 27.11.2023
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